Jeanna Bauck: Die vergessene Netzwerkerin der Kunst

Stell dir eine Welt vor, in der dein Talent und deine Leidenschaft vorhanden sind, aber die Türen zu den wichtigsten Ausbildungsstätten für dich verschlossen bleiben, nur weil du eine Frau bist. Das war die Realität für unzählige Künstlerinnen im 19. Jahrhundert, eine Ära voller gesellschaftlicher Umbrüche, in der die Kunstwelt jedoch ein starres, von Männern dominiertes Bollwerk blieb. Doch einige von ihnen ließen sich nicht aufhalten. Sie waren Rebellinnen im Stillen, die mit Pinsel und Palette ihre eigenen Wege schufen, eigene Schulen gründeten und Netzwerke aufbauten, die heute, über ein Jahrhundert später, als revolutionär gelten.

Eine der wichtigsten, aber tragischerweise fast vergessenen Pionierinnen dieser Bewegung war die schwedisch-deutsche Malerin Jeanna Bauck (1840–1926). Ihre Geschichte ist weit mehr als die einer talentierten Künstlerin; sie ist die Geschichte einer brillanten Pädagogin, einer unermüdlichen Netzwerkerin und einer Frau, die sich ihren Platz in der Kunstwelt selbst erkämpfte und damit Türen für andere aufstieß. Dieser Artikel nimmt dich mit auf eine Reise durch das Leben einer Frau, die nicht nur Bilder malte, sondern aktiv die Strukturen für nachfolgende Künstlerinnen-Generationen schuf.

Von Stockholm nach Deutschland

Geboren 1840 in Stockholm, wuchs Jeanna Maria Bauck in einem Umfeld auf, das wie geschaffen schien, um Kreativität zu fördern. Ihr Vater, Carl Wilhelm Bauck, war ein aus Deutschland stammender und in Schweden hoch angesehener Komponist, Musikkritiker und Professor. Das Haus der Baucks war ein kultureller Treffpunkt, in dem Musik, Literatur und intellektueller Austausch zum Alltag gehörten.

Diese bildungsbürgerliche Atmosphäre ermöglichte Jeanna eine umfassende Bildung, die für Mädchen ihrer Zeit alles andere als selbstverständlich war. Doch während ihre männlichen Zeitgenossen den Weg an die königlichen Kunstakademien einschlagen konnten, blieb ihr dieser verschlossen. Die Doktrin der Zeit war klar: Die „hohe Kunst“ war Männersache. Frauen wurde bestenfalls eine dilettierende Beschäftigung mit der Malerei als „zierende“ Fähigkeit zugestanden.

Diese systemischen Barrieren waren für eine ehrgeizige junge Frau wie Jeanna Bauck jedoch kein Endpunkt, sondern ein Ansporn. 1863, im Alter von 23 Jahren, traf sie eine mutige Entscheidung: Sie verließ ihre Heimat Schweden und begab sich auf eine künstlerische Pilgerreise durch Deutschland, das Epizentrum der europäischen Kunst des 19. Jahrhunderts. Ihre erste wichtige Station war Dresden. Da die Akademie für sie tabu war, nahm sie teuren Privatunterricht bei Adolf Ehrhardt, einem Professor der Akademie, der dem Kreis der Spätromantiker angehörte. Hier eignete sie sich die technischen Grundlagen und die disziplinierte Arbeitsweise an, die für eine professionelle Karriere unerlässlich waren.

Später zog es sie nach Düsseldorf, eine Hochburg der berühmten Düsseldorfer Malerschule, die für ihre detailreichen Historien- und Landschaftsgemälde bekannt war. Dort wurde sie Schülerin des norwegischen Landschaftsmalers Albert Flamm, der sie in die Geheimnisse der Komposition und der Darstellung dramatischer Naturkulissen einweihte. Jede dieser Stationen war ein hart erkämpfter Schritt.

Jeanna Bauck musste nicht nur ihr Talent unter Beweis stellen, sondern sich auch gegen Vorurteile und die ständige Herabwürdigung weiblicher Kunst behaupten. Diese Jahre des Lernens und Reisens waren jedoch nicht nur künstlerisch prägend. Sie schulten ihren Blick für soziale Strukturen und lehrten sie die überlebenswichtige Kunst des Netzwerkens. Jeder Kontakt, jede Empfehlung war ein Baustein in dem Fundament, das sie für ihre spätere, unabhängige Karriere legte.

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Das Münchner Atelier

In den 1870er Jahren erreichte Jeanna Bauck schließlich München. Die bayerische Hauptstadt hatte sich zu einem der pulsierendsten und fortschrittlichsten Kunstzentren Europas entwickelt und zog Talente aus aller Welt an. Die Stadt war die Heimat der „Malerfürsten“ wie Franz von Lenbach und Franz von Stuck und ein Ort, an dem neue künstlerische Ideen zirkulierten.

Auch hier war der Zugang zur Königlichen Akademie der Bildenden Künste für Frauen versperrt – sie wurden erst 1920 offiziell zugelassen. Doch die private Kunstszene blühte. Bauck wurde Schülerin bei dem für seine dynamischen Reiter- und Historiengemälde berühmten polnischen Maler Józef Brandt. Sein dramatischer Stil und sein pastoser Farbauftrag hinterließen sichtlich Spuren in ihrem Werk.

Doch sie war nicht mehr nur Schülerin. Sie hatte eine Vision, die weit über ihre eigene Leinwand hinausging. Sie erkannte das drängendste Problem für Frauen in der Kunst: den Mangel an qualifizierten, zugänglichen und vor allem ermutigenden Ausbildungsorten. Ihre Antwort darauf war ein ebenso pragmatischer wie revolutionärer Schritt: Sie gründete in ihrem eigenen Münchner Atelier in der Gabelsbergerstraße 55 eine Malschule ausschließlich für Frauen. Dies war mehr als nur eine Geschäftsgründung; es war ein politisches Statement und ein Akt der gelebten Solidarität. Sie schuf einen Ort, der explizit als Alternative zur männlich dominierten, oft feindseligen Akademie-Welt konzipiert war.

Ihr Atelier wurde zu einem sogenannten „Safe Space“, einem geschützten Raum, in dem junge Frauen aus ganz Europa nicht nur die technischen Fertigkeiten der Malerei nach höchsten professionellen Standards erlernen konnten. Viel wichtiger noch war der psychologische Aspekt: Hier konnten sie Selbstvertrauen tanken, sich untereinander austauschen, Netzwerke bilden und einander als ernsthafte Kolleginnen wahrnehmen.

In einer Welt, die ihnen sagte, dass sie nicht gut genug seien, schuf Jeanna Bauck einen Ort, der ihnen das Gegenteil bewies. Ihre Schule wurde zu einem wichtigen Sprungbrett für die Karrieren zahlreicher Künstlerinnen, darunter etwa die später bekannte Porträtmalerin Paula von Rosthorn.

Bauck & Wegmann

Es war in der lebendigen Münchner Kunstszene, wo Jeanna Bauck auf die dänische Malerin Bertha Wegmann (1847–1926) traf. Diese Begegnung war schicksalhaft und markierte den Beginn einer der faszinierendsten Künstlerfreundschaften des 19. Jahrhunderts. Die beiden Frauen waren nicht nur Kolleginnen, sondern Seelenverwandte. Sie teilten nicht nur die Leidenschaft für die Kunst, sondern auch den Kampf um Anerkennung. Für eine Weile teilten sie sich ein Atelier, das zu einem Epizentrum weiblicher Kreativität und intellektuellen Austauschs wurde, bevor sie ihre enge Zusammenarbeit in der damaligen Kunsthauptstadt Paris fortsetzten.

Der sichtbare und beeindruckendste Ausdruck ihrer tiefen Verbindung sind die berühmten Porträts, die sie voneinander malten. Diese Bilder sind weit mehr als nur Abbildungen; sie sind ein intimer Dialog auf Augenhöhe, ein Zeugnis gegenseitigen Respekts und professioneller Bewunderung. Das wohl bekannteste Werk dieser Serie ist Jeanna Baucks Gemälde „Die dänische Künstlerin Bertha Wegmann, ein Porträt malend“ von 1881. Die Analyse dieses Werkes ist ein Schlüssel zum Verständnis von Baucks modernem Denken.

Sie zeigt Wegmann nicht in einer eleganten Pose, passiv dem Blick des Betrachters ausgesetzt, wie es die Konvention für Frauenporträts verlangte. Stattdessen fängt sie ihre Freundin in einem Moment höchster Konzentration bei der Arbeit ein. Wegmanns Blick ist auf ihre eigene Leinwand gerichtet, nicht auf uns. Sie ist Subjekt, nicht Objekt. Der Pinsel in ihrer Hand ist kein schmückendes Accessoire, sondern ein Werkzeug ihrer Profession. Bauck bricht hier radikal mit der traditionellen Darstellung der Frau als Muse oder Allegorie. Sie malt eine moderne, berufstätige Frau und feiert ihre intellektuelle und schöpferische Kraft. Bertha Wegmann wiederum malte Jeanna Bauck in einer ähnlich professionellen Pose. Diese Doppelporträts sind ein kraftvolles Manifest über weibliche Identität, Solidarität und professionelle Zusammenarbeit. Sie nehmen kunsthistorische Debatten über den „weiblichen Blick“ (the female gaze) um Jahrzehnte vorweg.

Die Kunst der Jeanna Bauck

Obwohl Jeanna Baucks Rolle als Pädagogin und Netzwerkerin herausragend ist, muss ihre eigene künstlerische Leistung als gleichwertig betrachtet werden. Ihr Stil war vielseitig und entwickelte sich kontinuierlich weiter. Sie bewegte sich gekonnt zwischen dem akademischen Realismus ihrer Lehrer und den modernen Strömungen der Freilichtmalerei, die von der französischen Schule von Barbizon ausgingen und die Landschaftsmalerei revolutionierten.

Die Landschaften: Stille und Atmosphäre

Ihre Landschaftsbilder sind oft von einer stillen, fast meditativen Stimmung geprägt. Anders als viele ihrer männlichen Kollegen, die in der Tradition der Düsseldorfer Schule oft dramatische, heroische Inszenierungen der Natur bevorzugten, fand Bauck das Besondere im Unspektakulären. Werke wie „Mondaufgang“ oder „Waldbach“ zeigen ihre Fähigkeit, mit Licht und Schatten subtile Atmosphären zu schaffen. Ihr Pinselstrich wurde mit der Zeit immer lockerer, ihre Farbpalette heller. Die Hinwendung zum Malen unter freiem Himmel („en plein air“), eine Praxis, die sie mit Bertha Wegmann teilte, ist in diesen Bildern deutlich spürbar. Es ging ihr nicht um eine topografisch exakte Wiedergabe, sondern um das Einfangen eines flüchtigen Moments, einer persönlichen Empfindung gegenüber der Natur.

Die Porträts: Psychologische Tiefe

Auch in ihren Porträts zeigt sich ihre besondere Fähigkeit zur Einfühlung. Sie war nicht an einer rein oberflächlichen, repräsentativen Abbildung interessiert. Vielmehr versuchte sie, den Charakter und die psychologische Tiefe der dargestellten Person einzufangen. Ihre Porträts sind oft von einer bemerkenswerten Intimität und Ernsthaftigkeit geprägt. Besonders in den Darstellungen ihrer Freundin Bertha Wegmann wird deutlich, dass es ihr um mehr ging als nur um Ähnlichkeit. Es ging ihr darum, die innere Welt und die professionelle Identität einer anderen Künstlerin sichtbar zu machen.

Erfolg auf internationaler Bühne

Jeanna Bauck war zu Lebzeiten keine verkannte Künstlerin, sondern eine international anerkannte und erfolgreiche Malerin. Ihr Erfolg widerlegt das Mythos, dass Künstlerinnen damals per se unsichtbar waren. Sie stellte regelmäßig in den wichtigsten Kunstsalons in Paris aus, war in den Glaspalästen in München und Berlin vertreten und wurde ausgewählt, ihre Werke auf den Weltausstellungen in Paris (1889 und 1900) sowie in Chicago (1893) zu zeigen. Diese Teilnahmen waren die höchsten Auszeichnungen, die ein Künstler oder eine Künstlerin damals erreichen konnte. Sie war Mitglied in mehreren Künstlerinnenvereinen und eine etablierte Größe in der europäischen Kunstszene.

Späte Jahre

Nach ihrer produktiven Zeit in Paris kehrte Jeanna Bauck 1897 nach Deutschland zurück und ließ sich schließlich in München nieder, wo sie 1926, im selben Jahr wie ihre Freundin Bertha Wegmann, verstarb. Trotz ihres unbestreitbaren Erfolgs zu Lebzeiten begann ihr Name, wie der so vieler anderer talentierter Frauen ihrer Generation, nach ihrem Tod langsam aus dem öffentlichen Kunstgedächtnis zu verblassen.

Die Gründe dafür sind ein Lehrstück über die Mechanismen der Kunstgeschichtsschreibung. Der Kanon, also die Liste der „wichtigsten“ KünstlerInnen, wurde über Jahrzehnte von einer fast ausschließlich männlichen Zunft von Kunsthistorikern, Museumsdirektoren und Sammlern geformt. Frauen fielen oft durchs Raster, weil ihre Lebensläufe nicht der mythischen Erzählung vom einsamen, männlichen „Genie“ entsprachen oder deren Werk sich nicht leicht in eine der großen „-Ismen“ einordnen ließ.

Zudem hinterließ Bauck keine direkten Nachkommen, die ihr Erbe hätten verwalten können. Ihre Werke verteilten sich auf private Sammlungen und Museen, wo sie oft in Depots verschwanden. Das Fehlen einer lauten, männlich geprägten Künstler-Mythologie trug ebenfalls dazu bei, dass ihre immense Bedeutung als Pionierin der Künstlerinnen-Netzwerke in Vergessenheit geriet.

Fazit

Jeanna Bauck war weit mehr als nur eine talentierte Malerin des 19. Jahrhunderts. Sie war eine Visionärin, die erkannte, dass Talent allein in einer restriktiven Gesellschaft nicht ausreicht. Ihre wahre, bleibende Lebensleistung liegt in der untrennbaren Kombination aus ihrer Kunst, ihrer Rolle als bahnbrechende Pädagogin und ihrer unermüdlichen Arbeit als Netzwerkerin. Sie baute Brücken, wo Mauern standen, öffnete Türen und schuf Räume, in denen Frauen sich entfalten konnten. Sie verstand, dass Solidarität und gegenseitige Unterstützung die stärksten Waffen gegen ein System waren, das Frauen kleinhalten wollte.

Ihre Wiederentdeckung im Zuge der feministischen Kunstgeschichte seit den 1980er Jahren ist daher überfällig und von großer Bedeutung. Die Geschichte von Jeanna Bauck ist eine kraftvolle Erinnerung daran, dass Kunstgeschichte immer wieder neu geschrieben werden muss, um diejenigen sichtbar zu machen, die systematisch übersehen wurden. Sie ist ein inspirierendes Vorbild, das uns lehrt, dass die größten Veränderungen oft nicht durch einsame Genies, sondern durch kluge, mutige und solidarische NetzwerkerInnen angestoßen werden. Jeanna Bauck hinterließ der Welt nicht nur ihre beeindruckenden Bilder, sondern vor allem ein strukturelles und ideelles Vermächtnis, das heute aktueller ist denn je: die Erkenntnis, dass wir gemeinsam stärker sind.

FAQs

Wer war Jeanna Bauck?
Jeanna Bauck (1840–1926) war eine bedeutende schwedisch-deutsche Malerin, Pädagogin und Netzwerkerin des 19. Jahrhunderts. Sie ist besonders bekannt für die Gründung einer Malschule für Frauen in München und ihre enge Künstlerfreundschaft mit der dänischen Malerin Bertha Wegmann.

Warum gilt Jeanna Bauck als wichtige Netzwerkerin?
In einer Zeit, in der Frauen von Kunstakademien ausgeschlossen waren, schuf sie aktiv Strukturen zur Förderung von Künstlerinnen. Ihre Malschule und ihre Zusammenarbeit mit Bertha Wegmann waren zentrale Knotenpunkte eines weiblichen Kunstnetzwerks und förderten die Karrieren vieler Frauen.

Was ist das Besondere an den Porträts von Jeanna Bauck und Bertha Wegmann?
Die Porträts, die die beiden Freundinnen voneinander malten, sind einzigartig für ihre Zeit. Sie zeigen die jeweils andere nicht als passives Modell, sondern als selbstbewusste, aktive Künstlerin bei der Arbeit und sind damit ein starkes Statement für weibliche Professionalität und künstlerischen Austausch auf Augenhöhe.

Welchen Stil malte Jeanna Bauck?
Ihr Stil bewegte sich zwischen dem akademischen Realismus, den sie bei ihren Lehrern gelernt hatte, und modernen Einflüssen der Freilichtmalerei (Pleinairismus), wie sie von der Schule von Barbizon in Frankreich ausging. Sie malte vorwiegend stimmungsvolle Landschaften und psychologisch tiefgründige Porträts.

Warum war Jeanna Bauck lange Zeit vergessen?
Wie viele Künstlerinnen ihrer Generation wurde sie von einer männlich dominierten Kunstgeschichtsschreibung lange übersehen. Ihr Werk passte nicht in die gängigen Heldenerzählungen und ihre Rolle als Netzwerkerin und Pädagogin wurde erst durch die feministische Kunstwissenschaft wiederentdeckt und gewürdigt.

Gerhard RogenhoferJedes Objekt, das wir finden, ist ein Echo menschlicher Erfahrungen. Ich bin Gerhard und für mich ist Kulturgeschichte vor allem die Summe unzähliger persönlicher Schicksale. Hier auf Kultur-Fundstücke.de spüre ich diesen menschlichen Geschichten nach, die unsere Welt geformt haben.