Malschule für Damen: Jeanna Baucks Münchner Atelier

München in den späten 1870er Jahren: eine Stadt im Rausch der Kunst. Die Glaspaläste zogen internationale Ausstellungen an, die „Malerfürsten“
schufen prunkvolle Villen, und in den Ateliers und Cafés wurde leidenschaftlich über die Zukunft der Malerei debattiert. Doch dieser schillernde Kosmos hatte eine harte, unsichtbare Grenze. Während junge Männer aus ganz Europa an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste studieren konnten, blieben deren Tore für Frauen hermetisch verschlossen.

In diesem Klima der institutionalisierten Ausgrenzung war die Gründung einer privaten Malschule durch die Künstlerin Jeanna Bauck mehr als nur eine geschäftliche Unternehmung. Ihr Atelier in der Gabelsbergerstraße war eine strategische Antwort auf systemische Diskriminierung, ein Akt der unternehmerischen Selbstermächtigung und ein Leuchtfeuer für eine ganze Generation von Frauen, die sich weigerten, ihre Ambitionen aufzugeben. Es war ein Inkubator für Karrieren, ein Knotenpunkt im weiblichen Kunst-Netzwerk und ein gelebtes Manifest der Emanzipation.

Die gläserne Decke des 19. Jahrhunderts

Um die revolutionäre Bedeutung von Jeanna Baucks Initiative zu verstehen, muss man die massiven Barrieren betrachten, mit denen Frauen in der Kunst damals konfrontiert waren. Der Ausschluss von den offiziellen Akademien war kein Zufall, sondern das Ergebnis tief verwurzelter patriarchaler Ideologien. Die vorherrschende Lehre, oft untermauert durch pseudowissenschaftliche Argumente, besagte, dass Frauen von Natur aus nicht zum „schöpferischen Genie“ fähig seien. Ihre Kunst wurde als reproduktiv, nachahmend und dekorativ abgetan, während die „hohe Kunst“ – insbesondere die Historienmalerei – dem männlichen Intellekt vorbehalten blieb.

Ein zentrales und oft vorgeschobenes Argument war die angebliche „Sittlichkeit“. Das gemeinsame Studium von Männern und Frauen, primär das Aktzeichnen nach nackten Modellen, galt als unschicklich und moralisch gefährdend für die Frau. In Wahrheit diente dieses Argument hauptsächlich dazu, Frauen von der wichtigsten Disziplin der akademischen Ausbildung fernzuhalten und so das männliche Monopol auf prestigeträchtige Aufträge und Professuren zu sichern.

Die wenigen Alternativen waren unzureichend. Sogenannte „Damenakademien“, wie sie etwa vom Münchner Künstlerinnenverein angeboten wurden, waren zwar ein wichtiger Schritt, litten aber oft unter geringerem Ansehen und eingeschränkten Ressourcen. Der Privatunterricht bei einem anerkannten Professor war extrem teuer und machte die Schülerin von der Gnade und der verfügbaren Zeit eines Einzelnen abhängig. Vor diesem Hintergrund war die Gründung einer professionell geführten, unabhängigen Malschule durch eine Frau für Frauen die einzig logische Konsequenz für jede, die den Anspruch hatte, mehr als nur eine Sonntagsmalerin zu sein.

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Das Konzept

Das Atelier von Jeanna Bauck in der Gabelsbergerstraße 55 war nicht nur ein Unterrichtsraum; es war eine professionelle Adresse. In einer Zeit, in der Künstlerinnen oft im Verborgenen ihrer Privaträume arbeiteten, signalisierte eine solche offizielle Atelieradresse Professionalität und Geschäftssinn. Hier wurden Schülerinnen empfangen, Modelle bestellt und Werke potenziellen KäuferInnen präsentiert. Bauck schuf einen Raum, der die Normen der professionellen Kunstwelt für Frauen adaptierte und zugänglich machte.

Obwohl genaue Lehrpläne nur spärlich überliefert sind, lässt sich das Curriculum aus Baucks eigenem Werdegang und den Standards der Zeit rekonstruieren. Es war explizit darauf ausgelegt, eine Alternative zur akademischen Ausbildung zu bieten. Im Zentrum stand eine solide handwerkliche Grundlage: das Zeichnen nach Gipsabgüssen antiker Skulpturen, um Proportion und Form zu meistern, gefolgt von Stillleben-Arrangements, um Komposition und Stofflichkeit zu studieren. Darauf aufbauend folgten die Königsdisziplinen: die Porträt- und Landschaftsmalerei.

Hier konnte Bauck ihre eigene Expertise, die sie bei Lehrern der Düsseldorfer und Münchner Schule sowie in Paris erworben hatte, direkt weitergeben. Sie unterrichtete die Techniken des Realismus, aber auch die moderneren Ansätze der Freilichtmalerei. Ihre Lehrmethodik ging jedoch weit über die reine Technik hinaus. Als Mentorin ermutigte sie ihre Schülerinnen, eine eigene künstlerische Handschrift zu finden und sich nicht mit der bloßen Nachahmung zufriedenzugeben. Sie lehrte sie, die Welt mit eigenen Augen zu sehen – eine radikale Botschaft für Frauen, deren Blick so lange als irrelevant gegolten hatte.

Ein Netzwerk der Solidarität

Die vielleicht wichtigste Funktion der Malschule war ihre soziale Dimension. Sie war ein „Safe Space“, ein geschützter Raum, in dem Frauen frei von männlicher Konkurrenz, Herablassung und unerwünschten Annäherungsversuchen arbeiten und lernen konnten. Hier konnten sie offen über ihre Ambitionen, Zweifel und künstlerischen Ideen sprechen. Sie konnten sich gegenseitig Modell sitzen, was die hohen Kosten für professionelle Modelle reduzierte, und ein Netzwerk der Solidarität und des kritischen Austauschs knüpfen. Dieses Gemeinschaftsgefühl war ein unschätzbares Gut in einer ansonsten isolierenden Berufswelt.

Die Schülerinnen kamen aus unterschiedlichen, meist aber bürgerlichen Verhältnissen aus ganz Europa, für die eine professionelle Ausbildung eine ernsthafte Investition darstellte. Eine der namentlich bekannten Schülerinnen war die talentierte Paula von Rosthorn (verheiratete von Wieser), die später als Porträt- und Landschaftsmalerin in Österreich Bekanntheit erlangte. Für sie und viele andere war Baucks Schule mehr als nur ein Ausbildungsort; sie war ein Karrieresprungbrett. Es ist anzunehmen, dass Jeanna Bauck, die selbst eine meisterhafte Netzwerkerin war, ihre Kontakte nutzte, um ihren talentiertesten Schülerinnen den Weg in Ausstellungen des Münchner Kunstvereins oder zu privaten SammlerInnen zu ebnen. Sie verkaufte nicht nur Wissen, sondern auch Zugang und Möglichkeiten.

Weibliche Selbstorganisation in der Kunst

Jeanna Baucks Malschule war zwar eine persönliche und mutige Initiative, aber sie stand nicht im luftleeren Raum. Sie war Teil einer größeren, transnationalen Bewegung der weiblichen Selbstorganisation in der Kunst. Überall in Europa begannen Frauen im späten 19. Jahrhundert, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. In Deutschland gründete sich 1867 der Verein der Berliner Künstlerinnen, der ebenfalls eine Malschule unterhielt und Ausstellungen organisierte. In München selbst gab es die bereits erwähnte Damenakademie, die aus dem 1882 gegründeten Künstlerinnenverein hervorging.

Der international wohl bekannteste Vergleich ist die Académie Julian in Paris. Rodolphe Julian erkannte früh das enorme Marktpotenzial der kunstbeflissenen Frauen und öffnete 1873 separate Damen-Ateliers. Gegen hohe Gebühren bot er ihnen eine Ausbildung an, die der an der offiziellen École des Beaux-Arts entsprach, inklusive Aktzeichnen. Künstlerinnen wie Marie Bashkirtseff oder Käthe Kollwitz studierten dort. Während die Académie Julian eine kommerziellere, größere Institution war, hatte Baucks Schule einen persönlicheren, von einer praktizierenden Künstlerin geleiteten Charakter. Ihre Initiative steht beispielhaft für den Unternehmergeist und den solidarischen Impuls, der diese Epoche der weiblichen Emanzipation in der Kunst kennzeichnete.

Fazit

Die Malschule von Jeanna Bauck in München existierte nur für wenige, aber entscheidende Jahre. Ihr Vermächtnis lässt sich jedoch nicht in der Dauer ihres Bestehens messen. Es liegt in ihrer Wirkung als Katalysator. Sie war eine strategische Institution, die Bildung, Gemeinschaft und Karriereförderung auf eine Weise miteinander verband, wie es die offiziellen Institutionen nicht konnten oder wollten. Das Atelier war der physische Ausdruck von Baucks tiefster Überzeugung: dass Frauen in der Kunst nur durch Exzellenz, Professionalität und gegenseitige Unterstützung erfolgreich sein können.

Es festigte ihren Ruf und ihre Identität als zentrale „Netzwerkerin“ der Münchner Szene. Die Kunstgeschichte hat lange Zeit nur die Meisterwerke an den Wänden der Museen gewürdigt. Jeanna Baucks Malschule für Damen, dass die wahre Revolution oft in den Ateliers und Unterrichtsräumen stattfand – dort, wo das Fundament für die nächste Generation gelegt wurde. Ihre Schule war ein kleiner, aber unverzichtbarer Meilenstein auf dem langen und mühsamen Weg zur Gleichberechtigung von Frauen in der Kunstausbildung.

FAQs

Warum gründete Jeanna Bauck eine eigene Malschule?
Jeanna Bauck gründete ihre Schule, weil die offizielle Königliche Akademie der Bildenden Künste in München im 19. Jahrhundert keine Frauen aufnahm. Ihre Malschule war eine professionelle Alternative, um Frauen eine qualifizierte künstlerische Ausbildung zu ermöglichen.

Was war das Besondere an Jeanna Baucks Malschule für Damen?
Das Besondere war die Kombination aus einem hochprofessionellen Lehrplan, der sich an den Akademien orientierte, und der Funktion als „Safe Space“. Sie wurde von einer erfolgreichen Künstlerin geleitet und diente als Netzwerk und Karrieresprungbrett für ihre Schülerinnen.

Welche Fächer wurden in der Malschule unterrichtet?
Der Lehrplan umfasste eine fundierte Grundausbildung vom Zeichnen nach Gipsmodellen über Stillleben bis zu den anspruchsvollen Gattungen der Porträt- und Landschaftsmalerei. Damit bot die Schule eine umfassendere Ausbildung als viele andere „Damenkurse“.

War Jeanna Baucks Schule ein Einzelfall?
Nein, ihre Schule war Teil einer europaweiten Bewegung, in der Frauen und einige männliche Unternehmer begannen, private Akademien für Künstlerinnen zu gründen. Bekannte Beispiele sind die Académie Julian in Paris oder die Malschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen.

Welches Vermächtnis hat die Malschule hinterlassen?
Das Vermächtnis der Schule liegt in ihrer Rolle als Pionierinstitution. Sie bewies, dass von Frauen geführte Ausbildungsstätten professionell und erfolgreich sein konnten und trug maßgeblich zur Professionalisierung und Vernetzung von Künstlerinnen in München und darüber hinaus bei.

Gerhard RogenhoferJedes Objekt, das wir finden, ist ein Echo menschlicher Erfahrungen. Ich bin Gerhard und für mich ist Kulturgeschichte vor allem die Summe unzähliger persönlicher Schicksale. Hier auf Kultur-Fundstücke.de spüre ich diesen menschlichen Geschichten nach, die unsere Welt geformt haben.